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Syrien oder: eine Welt ohne amerikanische Ordnungsmacht

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Syrien oder: eine Welt ohne amerikanische Ordnungsmacht

Syrien entwickelt sich immer mehr zu einem Desaster der Obamaschen Außenpolitik. Mit dem militärischen Eingreifen Russlands ist dieses „Problem aus der Hölle“ nun noch komplizierter geworden. Dabei hat das russische Drehbuch zu Syrien verblüffende Ähnlichkeitmit dem, was vor etwas mehr als anderthalb Jahren erst auf der Krim und dann in der Ostukraine passiert ist. Konfrontiert mit einem russischen Präsidenten, der stets weiter zu gehen bereit ist, als seine Gesprächspartner im Westen glauben, hat die Obama-Regierung mehrere Phasen durchlebt. Erst hat man nicht recht mitbekommen, dass Moskau Kampfflugzeuge nach Syrien verlegt hat. Dann hat man geglaubt, Russland wolle nur seine Immobilieninteressen verteidigen, etwa die russische Mittelmeerbasis in Taurus, werde aber nicht in den Bürgerkrieg eingreifen. Nachdem Russlands Präsident aber klargestellt hatte, dass er aktiv in den Kampf gegen IS einzusteigen gedenkt, bemühte man sich in Washington, ihn als neues Mitglied der Anti-IS-Koalition willkommen zu heißen. Nur um dann festzustellen – Überraschung! – , dass Putin seine eigene Agenda hat und unter dem Vorwand des Antiterrorkampfes alle Gruppen angreift, die eine Gefahr für seinen Schützling, Diktator Baschar al-Assad, darstellen – vor allem jene Rebellen, die Amerika als Partner im Kampf gegen IS auserkoren hatte.

Das Eingreifen Putins soll Assad zu stützen und den US-Einfluss zurückdrängen. Die öffentliche Demütigung Obamas hat dabei auch ein funktionales Element: Putin signalisiert Freund und Feind Amerikas, dass Obama ein schwacher Präsident ist. Ein Fingerzeig vom Macho in Moskau an die Machos in Nahost gewissermaßen, der seinen Eindruck nicht verfehlen wird. Es ist jedenfalls bezeichnend, dass die irakische Regierung, die es den Amerikanern zu verdanken hat, dass IS heute nicht auch in Bagdad steht, in der vergangenen Woche ein Bündnis mit Russland, Iran und Syrien eingegangen ist, um Geheimdienstinformationen über IS zu teilen. Hier zeichnet sich eine prorussische Allianz in der Region an, die neben Syrien, Hisbollah und Iran auch das von Teheran dominierte Bagdad umfassen könnte.

Präsident Obama fällt dazu nicht viel mehr ein, als den Finger Richtung Russland zu schütteln, Putin einen Mangel an Weitsicht und Professionalität vorzuwerfen und die Kritiker seiner Syrienpolitik als Schwurbler zu bezeichnen. Je verfahrener Obamas Syrienpolitik geworden ist, desto mehr tritt er als arroganter Professor auf, der Lektionen erteilt. Und das ist vielleicht das deprimierendste an diesem Führer der freien Welt: dass er – anders übrigens als George W. Bush oder sogar Jimmy Carter im Herbst ihrer jeweiligen Präsidentschaft – aus seinen außenpolitischen Fehlern nicht lernt.

Obama folgt einem Plan, und von dem geht er nicht ab. Amerika müsse seine Ressourcen aus dem Nahen Osten nach Asien verlagern, um dem in seiner Nachbarschaft immer aggressiver auftretenden China Einhalt zu bieten, so sein Credo. Das ist langfristig sicher richtig. Obamas Unwillen, sich um die Krisen im Nahen Osten zu kümmern, hat dort jedoch ein Vakuum entstehen lassen, dass die Iraner und die Russen nun ausnutzen. Es war in den 1970er Jahren eine der großen Errungenschaften der US-Politik, Ägypten aus der Koalition mit der Sowjetunion herausgelöst und ins andere Lager geholt zu haben. Das hat nicht nur den unheilvollen sowjetischen Einfluss in der Region zurückgedrängt, es hat auch den Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten erst möglich gemacht.

Nun schaut die US-Regierung hilflos zu, wie Moskau seinen Einfluss wieder ausbaut. Putin hat zwar nicht die Mittel, um den USA global Paroli zu bieten. Er hat jedoch erkannt, dass er seine Macht ausdehnen kann, indem er als Störfaktor agiert und jede Blöße ausnutzt, die Amerika bietet. Dabei macht er sich die Risikoaversion Obamas zunutze. Während der Westen vier Jahren ergebnislos über die Einrichtung einer Flugverbotszone in Syrien diskutierte, hat Putin über Nacht seine eigene Flugverbotszone geschaffen, die ihm niemand streitig macht aus Angst, damit einen Konflikt zwischen militärischen Schwergewichten auszulösen. Putins Vorteil ist, dass er bereit ist, dieses Risiko einzugehen – und so Fakten schafft.

Ein Positives hat die Obamasche Nahostpolitik: sie hat einen pädagogischen Wert für Europa. Viele Europäer und gerade viele Deutsche hegen ein tief sitzendes Ressentiment gegen die amerikanische Supermacht und ihre Rolle als Weltpolizist. Der Irak hat gezeigt, welche verheerende Folgen ein Überengagement Amerikas haben kann. In Syrien lässt sich nun besichtigen wie eine Welt aussehen würde ohne die Ordnungsmacht Amerika. Es ist eine Welt, die eher dem Dreißigjährigen Krieg ähnelt als Kants ewigem Frieden. Eine Welt, in der niemand von uns leben möchte.

Antiamerikanismus hat ein identitätsstiftendes Element, offenbar fühlen sich manche „europäischer oder „französischer oder „deutscher“, wenn sie einen Groll gegen die Supermacht hegen. Tatsächlich ist es aber im europäischen Interesse, Amerika bei Laune und engagiert zu halten, sowohl in Europa als auch in Nahen Osten. Man muss sich nur einen Moment vorstellen, was das neoimperiale Russland noch alles mit Europa anstellen würde, wenn im Hintergrund nicht Amerikas Militär den Sicherheitsanker für die immer schwächer werdende europäischen Armeen liefern würde. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Putin in Syrien noch mehr Flüchtlinge generieren will, die dann nach Europa fliehen und das europäische Gemeinschaftsprojekt noch stärker belasten als jetzt schon. Putin sieht die EU jedenfalls als die westliche Bastion, die am ehesten zu knacken ist, weshalb er seit Jahren Rechtspopulisten und andere Zentrifugalkräfte auf dem Kontinent fördert.

Syrien zeigt, dass Amerika nicht mehr automatisch bereit ist sich zu engagieren in Weltregionen, die seine eigenen nationalen Interessen weniger tangieren als etwa die Europas. Und in Zukunft werden die Vektoren der amerikanischen Macht noch deutlicher gen Asien gerichtet sein als bisher. Für Europa erwachsen daraus zwei Lehren. Einmal müssen wir vorbereitet sein, sowohl den politischen Willen als auch die militärischen Ressourcen zu mobilisieren, um selbst in unserem unmittelbaren strategischen Umfeld ordnend einzugreifen, wenn die westliche Führungsmacht in Einzelfällen nicht mehr vorangehen will. Und dann muss Europa deutlicher machen als in der Vergangenheit, dass es nicht nur Trittbrettfahrer amerikanischer Militärausgaben sein möchte, sondern bereit ist, mehr Bürden zu tragen, um Amerika in seiner globalen Ordnungsrolle zu entlasten.

Amerika hat unter Obama erhebliche Ermüdungserscheinungen gezeigt und ein pessimistisch-melancholisches Verhältnis gegenüber den Händeln dieser Welt entwickelt und Zweifel an der eigenen Fähigkeit, dort draußen Gutes zu bewirken. Die größte Gefahr für Europa ist, dass Amerika seinen Ordnungs– und Gestaltungswillen in der Welt verlieren könnte, so wie nun in Syrien geschehen. Der dortige Bürger- und Stellvertreterkrieg ist deshalb nicht nur ein Symbol für die Grenzen des Obama-Doktrin, er hat gleichzeitig die Verletzlichkeit Europas offengelegt.

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